Veröffentlicht am 11. April 2022
Sehr geehrte Frau Baerbock,
zu Beginn ihrer Amtszeit als Außenministerin haben Sie angekündigt, feministische Außenpolitik betreiben zu wollen und dies seitdem mehrfach wiederholt.
Als Frauenrechtlerinnen haben wir uns sehr über diese Ankündigung gefreut, denn in großen Teilen der Welt werden Frauen nach wie vor die Menschenrechte verweigert. Als Vertreterinnen des europäischen Netzwerks der mit afghanischen Frauen solidarischen Organisationen haben wir Sie wiederholt auf die Forderung afghanischer Frauenrechtlerinnen aufmerksam gemacht, die Taliban nicht anzuerkennen, keine Kooperation mit den Taliban einzugehen und vor allem keinerlei finanzielle Hilfen an die Taliban zu erlauben.
Doch gestern wurde bekannt, dass der für Afghanistan designierte deutsche Botschafter Markus Potzel Gespräche mit den Taliban über die Wiedereröffnung einer Botschaft in Kabul führt. Der Sprecher der Taliban, Suhail Shaheen, veröffentlichte auf seinem Twitteraccount ein Foto von sich und dem Botschafter mit der Überschrift: „Today, I met with HE Markus Potzel, German ambassador-designate to Afghanistan in Doha. We talked about a range of topics including status quo, economic projects, education, bilateral cooperation and reopening of German embassy in Kabul. Discussions will continue.“
Derselbe Shaheen, der am 3. September 2021 im Zdf von der Bundesregierung gefordert hatte, die „Unterschiede“ bei der Sicht auf Grundrechte von Mädchen und Frauen zu akzeptieren und mit den Taliban zusammenzuarbeiten. Mit dem offiziellen Termin legitimiert Botschafter Potzel die Taliban, obwohl diese nicht nur Mädchen den Zugang zu Bildung verweigern, sondern sogar Frauen hinrichten, die Menschenrechte für Frauen fordern. Unter anderem wurde die Frauenrechtlerin Frozan Safi im Oktober 2021 von den Taliban ermordet, mehrere Frauen in Haft genommen, ehemalige Richterinnen werden verfolgt und mit dem Tod bedroht.
Afghanische Frauen haben seit dem Beginn der „Friedensverhandlungen“ 2015 vor dieser Entwicklung gewarnt. Sie haben vorausgesagt, dass die Taliban jede Zusage hinsichtlich Menschenrechte für Frauen brechen werden, denn sie verfolgen eine Ideologie, die auf Geschlechterapartheid basiert. Sie, Frau Baerbock, haben in Ihrem Statement vom 23. Dezember 2021 betont, deutsches Personal in Kabul bedeute keine Anerkennung der Taliban, sondern diene lediglich dem Ermöglichen humanitärer Hilfe. Das wird durch die jetzige, für die Propaganda der Taliban sofort dienliche, öffentliche und offizielle Unterredung ad absurdum geführt.
Wir fordern Sie auf, jede Verhandlung mit den Taliban sofort abzubrechen und die Eröffnung einer deutschen Botschaft in Afghanistan während des Regimes der Taliban auszuschließen. Sie fallen damit afghanischen Mädchen und Frauen in den Rücken. Frau Baerbock, das Handeln Ihres Botschafters für Afghanistan zerstört darüber hinaus jedes Vertrauen in die Bundesrepublik und in Sie als Außenministerin. Wenn Frauenrechte zur Verhandlungssache werden, wird feministische Außenpolitik zum Synonym mit dem Verrat an Frauen.
Wir fordern Sie als deutsche Vertreterinnen des europäischen Netzwerks der mit afghanischen Frauen solidarischen Organisationen auf, klar Stellung zu beziehen und den Verhandlungen sowie jeder Hilfe für die Taliban eine Absage zu erteilen. Wir fordern Sie auf, sich an die Seite der Afghaninnen zu stellen und diese öffentlich und offiziell zu Ihren Verhandlungspartnerinnen zu machen. Die universalen Menschenrechte von Frauen sind unverhandelbar.
Wir sehen Ihrer Antwort entgegen und stehen Ihnen gerne für ein Gespräch zur Verfügung. Wir machen Sie darauf aufmerksam, dass wir Ihre Antwort öffentlich machen werden.
Mit feministischen Grüßen
Naïla Chikhi und Rebecca Schönenbach
Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung, Frauen für Freiheit e.V.