Am 1. Oktober 2018 erschien ein Artikel in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung Die ZEIT mit dem Titel „Muslimische Mode: Die Freiheit der verhüllten Frau“. Der Text stellte die Ausstellung Contemporary Muslim Fashions vor, die von San Francisco zuerst nach Frankfurt und dann in weitere Länder ziehen sollte. Der Bericht fing wie folgt an: „Sind Miniröcke wirklich fortschrittlich? Eine Ausstellung muslimischer Mode hinterfragt das westliche Modediktat: Auch die Bedeckung des Körpers kann befreiend wirken“.
Hier tritt eine klare Absurdität hervor, wenn eine Ausstellung versucht, die Macht des "modischen Diktats" anhand der Macht eines frauenverachtenden fundamentalistischen Diktats zu brechen – mithilfe kapitalistischen Luxus-Modedesignern wie Dolce & Gabbana und Tommy Hilfiger usw.. Denn gerade in Deutschland haben sich Frauen bereits vor Jahrzehnten gegen modische Gebote und weibliche Schönheitsideale gewehrt; mit langem Atem setzte die Frauenbewegung das Recht auf Selbstbestimmung in der Kleiderwahl durch.
Bei ersten Recherchen zu der Ausstellung Contemporary Muslim Fashions erfährt man, dass der Initiator der berühmte Kurator Max Hollein ist. Laut eigener Angaben lernte er bei Reisen unter anderem durch Teheran „wie modisch dort mit Kleidungsvorschriften umgegangen" werde. Dass Mode in vielen muslimischen Ländern ein Mittel für Frauen ist, dem Verschleierungszwang Widerstand zu leisten, scheint ihm nicht aufgefallen zu sein. Dass zahlreiche Frauen jährlich festgenommen und inhaftiert werden, weil sie sich gegen die Verschleierungsvorschrift auflehnen, scheint er bei seinen Forschungsreisen in diesen Ländern auch übersehen zu haben. Laut iranischer Polizeibehörde wurden beispielsweise im Jahre 2014 3.600.000 Frauen für ihre nicht ordnungsgemäß getragenen Schleier bestraft. Sie erhielten für ein Haarsträhnchen, das aus ihrem Kopftuch zu sehen waren, Geldstrafen oder wurden dafür verhaftet und inhaftiert und sogar verprügelt. Anfang 2019 sollte die Ausstellung Contemporary Muslim Fashions nach Frankfurt in das „Museum für Angewandte Kunst“ ziehen und die „sittsame Mode“ als Emanzipation der Musliminnen zur Schau stellen. Ironischerweise wurde auf dem gegenüberliegenden Main-Ufer zur selben Zeit die Ausstellung „100 Jahre Frauenwahlrecht“ vom historischen Museum ausgestellt, die die Errungenschaften der Frauenbewegung in Deutschland zeigt.
Für die iranischen Frauenrechtlerinnen Monireh Kazemi und Mahshid Pegahi kam es nicht in Frage dies so stehen zu lassen. Erste Proteste waren angesagt. Recht schnell gewannen die zwei engagierten Frauen zahlreiche Unterstützerinnen aus der ganzen Republik. Sie bildeten die Gruppe Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung.
Am 18. März 2019 richteten sie einen Protestbrief an den Museumsdirektor, Herrn Prof. Matthias Wagner K., verfassten eine Pressemitteilung und erstellten einen Flyer, um ihre Empörung vor der irreführenden Werbung für ein Instrument zur Knechtung der Frau deutlich zu machen. Ende März lud der Museumsdirektor Monireh Kazemi und Mahshid Pegahi zu einem Gespräch sowie zu einer Führung durch die Ausstellung ein. Die Ausstellung löste bei den Frauen Trauer und Wut aus, da der emanzipatorische Kampf der Iranerinnen, Afghaninnen, Algerierinnen, Ägypterinnen gegen die Zwangsverschleierung kaum Platz fand.
Gibt es eine bessere Art, um den emanzipatorischen Kampf der Frauen in den sogenannten muslimischen Ländern vergessen zu lassen und somit zunichte zu machen?
Bei dem Austausch bekundete Herr Prof. Wagner K. Interesse daran, den Frauenrechtlerinnen die Möglichkeit einzuräumen, ihren Standpunkt im Rahmen einer der vielen geplanten Veranstaltungen zu äußern. Um deutlich zu machen, dass dieser Widerstand nicht nur im Iran, sondern in vielen sogenannten islamischen Ländern stattfindet, planten die zwei Frauen eine Veranstaltung mit Naïla Chikhi, die über die algerische Frauenbewegung berichten sollte. Der Museumsdirektor meldete sich jedoch trotz seines Versprechens und mehrerer Nachfragen nicht mehr zurück. Für die deutsch-iranischen Frauenrechtlerinnen kam es allerdings nicht in Frage aufzugeben. So planten sie ihre eigene Podiumsdiskussion, um ihre Sichtweise über die sogenannte „sittsame Mode“ der Öffentlichkeit darzustellen.
In der Zwischenzeit kündigte die Ethnologin Frau Prof. Dr. Susanne Schröter eine Konferenz mit dem Thema „Das islamische Kopftuch, Symbol der Würde oder der Unterdrückung?” an. Die Vorbereitungen dieser Konferenz waren von Online-Protesten und Drohungen begleitet, mit allen Mitteln die Konferenz zu verhindern. Eine der Forderungen war es unter anderem Frau Prof. Dr. Schröter ihres Amtes als Dozentin an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main zu entheben. Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Goethe-Universität und ihre damalige Feminismusreferentin Fatma Keser stellten sich hinter die Konferenz des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI) und bezeichneten die Kritik an ihr und ihre Leiterin als „Hetzkampagne“.
Aufgrund dessen erschien Fatma Keser, die zuvor auch die Contemporary Muslim Fashions kritisierte und eine eigene Aktion organisierte, als die geeignetste Partnerin für die Co-Organisation der Veranstaltung der Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung. Mithilfe des AStA Uni-Frankfurt und der Terre des Femmes-Städtegruppe Rhein-Main fand am 16.01.2020 die Podiumsdiskussion „Die Verschleierung; Modeaccessoire, ein religiöses Symbol oder ein politisches Instrument?“ im Studierendenhaus Frankfurt statt. Auf dem Podium saßen Uwe Paulsen, Stadtverordneter der Grünen-Fraktion der Stadt Frankfurt und Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Naïla Chikhi, unabhängige Referentin für Integration und Frauenpolitik und Autorin, sowie Ingrid König, Publizistin und ehemalige Schulrektorin in Frankfurt-Griesheim. Moderiert wurde die Veranstaltung von Fatma Keser.
Leider lief die Diskussion nicht so reibungslos wie die Organisation im Vorfeld ab: Die Veranstaltung begann pünktlich um 19 Uhr mit einem Publikum von circa 100 Personen. Gerade 20 Minuten nach Beginn der Diskussion standen einzelne Publikumsgäste auf, hielten Schilder hoch, schrien laute Parolen und störten den Austausch. Trotz höflicher Aufforderungen der AStA-Referentin und Moderatorin Fatma Keser, bis Ende des Podiumsgesprächs mit den Fragen zu warten, waren die Störer_innen nicht aufzuhalten. Mit voller Offensive spannten sie einen langen Banner zwischen Podiumsgästen und Publikum, sodass sie einen weiteren vernünftigen Dialog verunmöglichten. Ihnen ging es nicht um einen argumentativen, sachlichen Austausch. Ihr Ziel war es – wenn nötig auch mit Gewalt – die Veranstaltungen zu sprengen und jegliche von ihren abweichenden Meinung zu unterbinden. Ihre Gewaltbereitschaft schüchterte mehrere Publikumsgäste ein, die die Polizei riefen.
Nach der Veranstaltung entschieden Naïla Chikhi, Fatma Keser und Monireh Kazemi weiterhin zusammenzuarbeiten. Am 08.03.2020 richteten sie gemeinsam mit zahlreichen Unterstützerinnen einen offenen Brief an die Parteivorsitzende der SPD, der Grünen und der Linke. In diesem Brief machten sie die Spitzenpolitiker_innen auf den zunehmenden Einfluss des fundamentalistischen und politischen Islams unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit aufmerksam, sowie auf die daraus resultierende Gefahr insbesondere für säkulare und atheistische Migrant_innen aus sogenannten muslimischen Ländern, LGBTQI, sowie in patriarchalen Strukturen verhaftete muslimische Mädchen und Frauen in Deutschland. Monatelang erhielten sie keine Antwort auf ihren offenen Brief. Nach einem Erinnerungsbrief erhielten sie eine von Borniertheit gezeichnete Antwort von Frau Katja Kipping. Und erst im November 2020 meldeten sich Frau Annalena Baerbock, Frau Ricarda Lang und Herr Robert Habeck (DIE GRÜNE/90) mit einer nichts aussagenden Antwort, in der sie viel mehr auf die Zusammenarbeit mit islamistischen, vermeintlich religiösen Vereinigungen als auf die Interessenvertretung von säkularen Migrantinnen eingehen.
Infolgedessen war es den drei Frauen und ihren Mitstreiterinnen klar: Seitens der Parteien, die sich einst für Säkularismus und Frauenrechte einsetzen wollten und von ihren Vertreter_innen, die sich nun am Höhepunkt ihrer politischen Karriere befinden, können sich die säkularen Migrantinnen wenig Unterstützung erhoffen.
Aus der informellen Gruppe bildeten Naïla Chikhi, Fatma Keser und Monireh Kazemi und ihre Mitstreiterinnen die Initiative der Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung. Damit wollen sie die Öffentlichkeit auf Frauenfeindlichkeit und -diskriminierung innerhalb der muslimischen Communities aufmerksam machen und sich in der politischen und gesellschaftlichen Debatte Gehör verschaffen.